Viola Relle & Stefan Müller
Flirren ist menschlich
23.02.2024–21.04.2024
Das Flirren seinerseits gehört als Verb mitunter der Luft, mit ihren tanzenden Mücken oder zuweilen auch den kämpfenden Lichtern, die sich in der Dunkelheit behaupten. Jüngst gehört es auch dem zerschellten Bildschirm, der wie eine Muschel in der Hand liegt. Menschlich ist das dem Menschen eigentümliche oder es ist jene Haltung, die dem Gegenüber Würde schenkt. Der Titel der Ausstellung Flirren ist menschlich entspringt einem Werktitel, der seine erste Silbe noch nicht fand. Doch Werk und Titel finden meist (irgendwann) zueinander, gleich den Wesen und ihren Namen.
Die poetische Qualität jener Worte spinnt einen Ausstellungstitel, der die Schirmherrschaft über die Gegenüberstellung der Werke des Künstlers Stefan Müller und der Künstlerin Viola Relle angenommen hat. Ihren sozialen Charakter betrachtend, hat auch die Kunst einen Hang zum Dualismus. Die Kontinuität der Kunst ist eine Voraussetzung für jede Form künstlerischer Verständigung, da sie an das Bewusstsein der Betrachter:innen gebunden ist, die zu einem bestimmten Zeitpunkt gemeinsame Sinnhorizonte und Bedeutungen teilen. Diese Kontinuität bildet die Grundlage für den sozialen Charakter der Kunst, im Sinne Ferdinand de Saussures, da Künstler:innen beständig und gemeinsam im Feld der Kunst interagieren. Diese kontinuierliche Interaktion führt wiederum zu einer permanenten Veränderung von Kunst.
Robert Walser spaziert im Schnee, seine Worte mäandern gleich den Werken Stefan Müllers; sie flirren durch die klirrende Kälte. Stefan Müller (geb. 1971 in Frankfurt am Main) zeigt eine Auswahl an Gemälden aus verschiedenen Schaffensphasen des vergangenen Jahrzehnts, bis hin zu neuesten Arbeiten. Jedes ist für sich und in sich schlüssig und keines verweist explizit auf seinen Nachbarn. Die älteste Arbeit Her Majesty Uglyness (2009) scheint ihrerseit aus dem offenen Sichtbeton herauszuwachsen und zeugt dabei von einer enormen Anziehungskraft. Die Gemälte sind auf Stoffen und leichten Leinen gespannt, selbst in großen Formaten sind sie wundersam zärtlich. Müller konzentriert sich auf eine einfache und fragile Verbindung zwischen persönlicher und ästhetischer Erfahrung, ohne sich auf die Kniffe und Täuschungen postkonzeptueller Malerei zu stützen. In seiner Malerei verfällt er keiner Selbstbezogenheit, sondern stellt eine Verbindung zwischen persönlicher Erfahrung und ästhetischer Arbeit her, die über das rein Individuelle hinausgeht.
Bewegt wie Jahreszeiten, entfalten sich die Keramiken Viola Relles (geb. 1992 in Budapest) und sind Organ oder Portrait, eine Erzählung Nach einer wahren Begebenheit (2024) in Begleitung eines berühmten Gedichts oder ein Körper, der zugleich Landschaft ist. Jede steht für sich, eigen und charakteristisch, lediglich die Herangehensweise der Künstlerin an den Aufbau der Plastiken weist deutliche Parallelen auf. Die Skulpturen sind in einzelnen Teilen geformt und gebrannt und zuletzt in Bausteinen ineinander gelegt. Ihre technische Fertigkeit lässt Assoziationen zu, wie beispielsweise zu fernen Tempelbauten, deren monumental skulpturale Fassaden in einzelnen Steinen geschlagen und später zusammengesetzt wurden. Die architektonischen Körper nehmen verschiedene Aggregatszustände an, mal sind sie anschmiegsam und leise, mal hart und laut. Ihr dynamisches Aufbegehren führt zu unterschiedlichen Formen, deren Spannungsfelder zwischen Innen und Außen, Figuration und Abstraktion (ähnlich zur phänomenologischen Wirkung der Arbeiten Stefan Müllers) oder auch zwischen plastischem Raum und malerischer Fläche liegen. Es scheit als würden die Skulpturen, mit ihrer eigensinnigen, organischen Statik, mystische Wirkungsräume erzeugen.
Neben der offensichtlichen Vereinigung bildhauerischen und malerischen Materials, zeigt die Ausstellung Flirren ist menschlich auch, wie sich künstlerische Handschriften nicht emblematisch verfestigen müssen sondern fluktuieren können um letzendlich ihre perpetuelle Substanz, gleich dem Feld in dem sie sich bewegen,weiter zu tragen.
Zur Ausstellung erscheinen Editionen.
The shimmering, for its part, sometimes belongs as a verb to the air, with its dancing mosquitoes or sometimes to the battling lights that assert themselves in the darkness. More recently, it also belongs to the shattered screen that lies in the hand like a shell. Human is that which is peculiar to man, or it is the attitude that gives the other person dignity. The title of the exhibition Flirren ist menschlich (Shimmering is human) originates from a work title that has not yet found its first syllable. But work and title usually find each other (at some point), like the beings and their names.
The poetic quality of those words spins an exhibition title that has assumed the patronage of the juxtaposition of works by the artist Stefan Müller and the artist Viola Relle. Considering its social character, art also has a tendency towards dualism. The continuity of art is a prerequisite for any form of artistic understanding, as it is tied to the consciousness of viewers who share common horizons of meaning and significance at a given point in time. This continuity forms the basis for the social character of art, in the sense of Ferdinand de Saussure, as artists constantly and collectively interact in the field of art. This continuous interaction in turn leads to a permanent change in art.
Robert Walser walks in the snow, his words meandering like Stefan Müller’s works; they shimmer through the freezing cold. Stefan Müller (born 1971 in Frankfurt am Main) is showing a selection of paintings from various creative phases of the past decade, right up to his most recent works. Each is self-contained and coherent in itself and none explicitly refers to its neighbour. The oldest work, Her Majesty Uglyness (2009), seems to grow out of the open exposed concrete and is enormously attractive. The paintings are stretched on fabrics and light linen; even in large formats they are wondrously tender. Müller concentrates on a simple and fragile connection between personal and aesthetic experience, without relying on the tricks and deceptions of post-conceptual painting. In his painting, he does not succumb to self-centredness, but establishes a connection between personal experience and aesthetic work that goes beyond the purely individual.
Moving like seasons, Viola Relle’s (born 1992 in Budapest) ceramics unfold and are organs or portraits, a narrative based on a true story (2024) accompanied by a famous poem or a body that is also a landscape. Each stands on its own, unique and characteristic, only the artist’s approach to the construction of the sculptures shows clear parallels. The sculptures are moulded and fired in individual parts and finally laid into one another in building blocks. Her technical skill allows associations to be made, for example with distant temple buildings whose monumental sculptural façades were carved in individual stones and later assembled. The architectural bodies take on different aggregate states, sometimes they are cuddly and soft, sometimes hard and loud. Their dynamic rebellion leads to different forms whose fields of tension lie between inside and outside, figuration and abstraction (similar to the phenomenological effect of Stefan Müller’s works) or between sculptural space and painterly surface. It seems as if the sculptures, with their stubborn, organic statics, create mystical spaces of effect.
In addition to the obvious unification of sculptural and painterly material, the exhibition Flirren ist menschlich also shows how artistic handwriting does not have to be emblematically solidified but can fluctuate in order to ultimately continue to carry its perpetual substance, like the field in which it moves.
An Edition will be released to the show. |