HOW TO & KNOW-HOW
Carlotta Bailly-Borg, Maryam Hoseini, Conny Maier, Kristina Schuldt, Grace Weaver, Rose Wylie
26.08.2022–23.10.2022
Als Grace Weaver vor ein paar Jahren einmal nach ihrem Künstlerin-Sein gefragt wurde, gab sie zu Protokoll, dass sie „beinahe Biologin“ geworden wäre. „Aber Kunst“, so die 1989 in Burlington, Vermont geborene und heute in Brooklyn, New York lebende Malerin weiter, sei ja auch „wie Forschung, bloß, dass Thema, Erfahrung und Publikum viel breiter gefächert sind.“ Weaver malt charakteristisch schwungvolle Figuren auf großen Formaten, die zwischen der Leinwand und ihrem geschäftigen urbanen Alltag hin-und herzuspringen scheinen. Diese nahezu soziologisch anmutenden Gemälde, die eine Kuratorin einmal als Spiegelbilder des allumfassenden, „ambivalenten Zustands einer spätkapitalistischen Welt“ beschrieb, sind nun neben den Gemälden von Carlotta Bailly-Borg, Maryam Hoseini, Conny Maier, Kristina Schuldt und Rose Wylie Teil der Gruppenausstellung „How to & Know How“, deren Titel auf Theorie und Praxis des Bildermachens sowie ihrer Vermittlung zu zielen scheint.
Die Frage nach dem Kippmoment –der Moment, an dem das vermeintlich Nicht-Elegante in sein Gegenteil umschlägt und womöglich auch, wie man da wieder herauskommt –, grundiert die Bilder von Rose Wylie. Auf den ersten Blick scheint Wylie eine „naive“ und „kindliche“ Bildsprache zu zitieren, doch hintergründig kommen hier Autobiografisches, Politisches sowie Pop-, Literatur-oder Theater-Referenzen zusammen. „Es gibt einen Punkt, an dem aus Ungeschicklichkeit Eleganz wird“, sagt die 1934 im englischen Kent geborene Künstlerin. „In der Malerei stehen Können und Eleganz am anderen Ende des Spektrums als das Primitive, das oft sehr real, sehr gefühlvoll und sehr kurz ist.“ Selten kommt in den Bildern Wylies beides zusammen, wie das Portrait der feministischen Vordenkerin Simone de Beauvoir aus dem Jahr 2013 zeigt.
Doppelbödig erscheint auch die Kunst von Kristina Schuldt. In den farbsatten Bildern der in Leipzig lebenden Malerin, die 1982 in Moskau geboren wurde, werden kunsthistorische Bezüge, politische und feministische Themen sowie die zerstreute Aufmerksamkeit in der hochvernetzten Gegenwart kunstvoll miteinander verknüpft. Die Figur auf der Leinwand begreift Schuldt als etwas Abstraktes. Denn ihre Figuren könnten schließlich „auch Gedanken sein, sie müssen keine Menschen sein“4, erklärt die Malerin. Mit solch einem umfassenden Abstraktionsbegriff arbeitet auch Maryam Hoseini. Die 1988 in Teheran, Iran geborene und heute in New York lebende Künstlerin interessiert sich besonders für die Räume, die durch Körper aktiviert werden, und die sich zwischen öffentlich und privat, Bildraum und Ausstellungsraum oder Malerei und Zeichnung öffnen. In den pastellfarbig-durchlichteten Bildern und Zeichnungen tauchen fragmentierte, kopflose Körper in Umgebungen auf, die an reduzierte Architektur-Renderings erinnern.
Mensch und Natur ist eines der bestimmenden Themen der Bilder von Conny Maier. Die Berliner Malerin produziert Gemälde, die sich in einer Art semiotischem Schwebezustand zu befinden scheinen. Denn ihre Sujets lassen sich weder zeitlich noch örtlich fixieren. Maier lässt offen, ob es sich um historische, gegenwärtige oder futuristische Motive handelt. Die in Brüssel lebende französische Künstlerin Carlotta Bailly-Borg treibt in ihren Bildern die Verschmelzung von anthropomorphen Silhouetten und Flora-Formen weiter. Bailly-Borg überträgt vergrößerte Blätter-und Blütenbilder mittels Digitaldruck auf die Leinwand, auf der sie auch mit Acryl, Graphit und Zeichenkohle arbeitet. Oder sie entlässt ihre Figuren, wie in der ausgestellten Werkserie, „A liquid Company“ (2019), mit Hilfe von teilweise verspiegeltem Glas von den Wänden wie amphibische Wesen in die Tiefe des Ausstellungsraums.
Die Figuration ist der kleinste gemeinsame Nenner aller sechs ausgestellten Positionen zeitgenössischer Malerei. Doch als Fixpunkt, das zeigt diese Ausstellung, taugt die Figur nicht oder nur wenig. Vielmehr markiert das „Figuring“, so formulierte das kürzlich die Malerin und Autorin Jutta Koether, eher den Beginn, sich auf „Unvertrautes, Unfertiges, auf Strangeness“ einzulassen. „Wie kam die Figur in meine Kunst,“ fragte Koether neulich weiter, „und wie ist sie jetzt verankert, oder eben gerade nicht verankert, sondern weiterhin in Untersuchungen involviert, die keine abhakbaren Lösungen finden wollen, weil Figuren wissen, dass dies nicht ihre Bestimmung ist?“ Figuren führen also ein seltsames Eigenleben auf der Leinwand. Die Ausstellung wird so zur Zusammenkunft unterschiedlicher Lebens-und Denkformen, das Publikum miteingeschlossen.
von KITO NEDO
Mit besonderer Unterstützung der Stadt Gladbeck, der Sparkasse Gladbeck und der Emscher Lippe Energie GmbH.