»Lea-Marie Lepper. New Talents 2021«

Mittlerweile zum dritten Mal wird unser New Talents-Förderpreis ausgelobt. Die diesjährige Preisvergabe findet leider ohne eine Ausstellung in den Räumen der Neuen Galerie Gladbeck statt. Die jahresanfängliche Verschiebung des Ausstellungsprogramms um acht Wochen hat die bekannte Sommerpause verkürzt, in der die New Talents-Preisträger*in mit einem Open Studio nach Gladbeck gezogen wäre. Umso wichtiger war es uns, den Preis kontinuierlich zu verleihen und insbesondere in der für die Akademieabgänger*innen schwierigen Zeit, eine*n Newcomer*in auszuzeichnen.

Wir freuen uns sehr, Ihnen unsere diesjährige Preisträgerin, Lea-Marie Lepper, in einem Interview vorstellen zu dürfen.
Herzlichen Glückwunsch!


Lea-Marie Lepper, Horizont, 2021

Maria Schnieders im Gespräch mit der New Talents-Preisträgerin Lea-Marie Lepper:

Maria Schnieders: Neben Bildhauerei und Installation hast du, gerade zur Zeit der Pandemie, verstärkt im Bereich Fotografie gearbeitet. Welche Rolle spielt das ‚neue‘ Medium und wie ergänzt es deinen Arbeitsprozess?

Lea-Marie Lepper: Durch den Verlust meines Arbeitsplatzes während der Corona-Pandemie und die Schließung sämtlicher Werkstätten und Ausstellungsräume musste ich meine Arbeit neu erfinden. Ich fing an alte Abdrücke zu fotografieren und stellte fest, dass ich in diesen Fotos all meine Ansätze zu Material, Umraum und vor allem zum Körper neu darstellen konnte. Die Fotografie ermöglicht es mir, einen noch distanzierteren Blick auf den Körper zu erreichen. So kann ich stärker entfremden und damit, meiner Meinung nach, viel näher zum Kern vordringen als bisher. Ein weiterer Punkt, der mich so für die Fotografie eingenommen hat, ist deren beinahe malerische Herangehensweise. Denn für mich spielt nicht nur die Körperdarstellung eine Rolle, sondern auch der leere Raum, der zwischen und um die Dinge besteht. Diesen Umraum betrachte ich als gleichwertig zum Objekt und habe ihm mit der Doppelarbeit Schweben und Sinken bereits eine fette Liebeserklärung gemacht. Mit der Fotografie kann ich noch einmal konzentrierter auf diese Qualitäten eingehen. Außerdem kann ich Fotografien aufgrund von Linien und Flächen kombinieren und so deren Aussagekraft erhöhen oder den Interpretationsspielraum vergrößern.

Lea-Marie Lepper, Sinken, 2018

Maria Schnieders: Deine Abschlussarbeit Genug, die uns zur Vergabe des New Talents 2021 bewegt hat, ist nur auf den ersten Blick eine rein fotografische Werkreihe. Erzähle uns bitte mehr über den Inhalt der Arbeit und ihren Titel.

Lea-Marie Lepper: Für Genug habe ich einen rechten und einen linken Fuß in Gips abgeformt und mich dann ein Dreivierteljahr nur auf das Fotografieren dieser zwei Objekte konzentriert. So sind Fotografien entstanden, deren Ursprung sich erst auf den zweiten oder dritten Blick erkennen lässt. Sie erinnern an Landschaften, Höhlen, Berge aber auch an weibliche Figuren oder wirken vollends abstrakt. Erst wenn die Betrachter*innen näher treten, können sie die Hautstrukturen erkennen und vielleicht auch das ursprüngliche Körperteil. Diese Abstraktion entsteht durch die vielen Entfremdungen. Zunächst die Abformung des Fußes, dann der Guss des Positives und dann noch mal das gleiche Verfahren in der Fotografie. Die Fotos habe ich in einem komplett weißen Raum mit weißem Boden präsentiert, so dass die Betrachter*innen das Gefühl hatten, in einem undefinierbaren Raum zu schweben. So wirkten die dunklen Fotos wie Anker an der Wand, die den Blick fangen und anziehen sollten. Ich wollte mit Genug ein Statement setzen und zeigen, wie vielfältig ein so kleiner Teil unseres Körpers sein kann. Daher auch der Titel. Unsere Füße sind ästhetisch genug, wir müssen uns ihrer nicht schämen. Zwei Objekte sind genug, es muss kein größeres Spektrum sein. Die Hängung war sehr minimal und die Bilder sind klein gedruckt. Das Maß entspricht ca. Din A4. Das ist groß genug. Keine Rahmen, kein Glas. Alle Fotografien sind in monochromen Farben gehalten, wurden nicht digital nachbearbeitet. Die Bilder wurden direkt auf die Wand geklebt. Kein Schnickschnack und kein Verstecken. Ich wollte eine möglichst pure, ehrliche Arbeit präsentieren.

Lea-Marie Lepper, Umarmung, 2021

Maria Schnieders: Vor allem Füße, aber auch Abformungen anderer Körperteile tauchen als wiederkehrende Objekte und Motive auf. Was genau reizt dich am menschlichen Körper?

Lea-Marie Lepper: Ich möchte mit meiner Arbeit einen neuen Blickwinkel auf den menschlichen Körper eröffnen, sodass dessen ursprüngliche Ästhetik den Betrachtern bewusst wird. Damit meine ich nicht normative Schönheit, sondern eher die Muster, Täler und Formen, die unsere Körper abseits von gesellschaftlichen Ansprüchen sind. Diese uns allen innewohnende Ästhetik ist ein riesiger Schatz, aus dem wir in jedem Alter und in jeder Verfassung schöpfen können. Leider wird das durch Normen und die Schönheitsindustrie untergraben, und vielen ist der Zugang zu diesem Blick verloren gegangen. Deshalb widme ich mich mit meiner Arbeit gerne Körperteilen, die ich als hoffnungslos unterschätzt wahrnehme. Viele Frauen und Männer aller Altersklassen finden ihre Füße eklig, schmutzig, zu faltig oder zu krumm. Fakt ist, dass unsere Füße unser Fundament sind. Sie tragen uns durch unser Leben und stehen auch für emotionale Unerschütterlichkeit. Deswegen gibt es da auch so viele Sprüche darüber, zum Beispiel: ‚seinen Mann stehen’ oder ‚sich erden’ und so weiter. Sie sind zwei Wunderdinge am Ende unserer Beine, und genau diese Wertschätzung dürfen wir ihnen auch entgegen bringen. Bevor unser Körper ‚schön’ ist, ist er ehrlich. Und diese Ehrlichkeit ist meine Ästhetik. Das ist, was meine Kunst zeigen soll.

Lea-Marie Lepper, Kuppe, 2021

Maria Schnieders: Du bist Meisterschülerin von Prof. Franka Hörnschemeyer und warst zu Gast bei Jürgen Drescher. Inwiefern haben diese beiden künstlerischen Positionen Einfluss auf deinen Werdegang als Künstlerin und deine Werke?

Lea-Marie Lepper: Von Franka Hörnschemeyer habe ich gelernt, dass Kunst nie ohne den Raum um sie herum auskommt – nichts kann wirklich isoliert stehen. Außerdem hat sie einen wachen Verstand und einen noch viel schärferen Blick. Sie sieht es sofort, wenn es Unsicherheiten oder Unstimmigkeiten in einer Arbeit gibt. Dann legt sie den Finger zielsicher in die Wunde – das hat mich unheimlich weiter gebracht. Herr Drescher hat ein tolles Gefühl für Geschichten und Aussagen. Mit ihm habe ich eine Menge über Kunst und Politik diskutiert. Darüber, was wir eigentlich mit Kunst erzählen wollen und auf welche Art. So konnte ich meine eigene Intention schärfen und hinterfragen.

Lea-Marie Lepper, Weiblicher Torso, 2021

Maria Schnieders: Woran arbeitest du aktuell? Kannst du uns schon etwas verraten?

Lea-Marie Lepper: Meine nächste Arbeit wird wieder eine Kombination aus Skulptur und Fotografie sein. Ich möchte dabei gerne verschiedene Körperteile thematisch einander zuordnen. Momentan denke ich an Berge aus Ellenbogen und Brüsten. Es geht also wieder um Körper, Umraum, Verfremdung und Politik, in diesem Fall Feminismus.


Lea-Marie Lepper wurde 1995 in Bonn geboren. 2014 begann sie ihr Studium an der Kunstakademie Düsseldorf. Im Laufe ihres Studiums spezialisierte sie sich auf die Bereiche Bildhauerei und Installation und ergänzte diese in den letzten zwei Jahren um das Medium Fotografie. Lepper studierte ab 2015 in der Klasse von Professorin Franka Hörnschemeyer und war als Gast bei Professor Jürgen Drescher. Die Geburt ihrer Tochter Ende 2019 und das Aufkommen der Corona Pandemie ermöglichten es Lepper, ihre Arbeit stärker zu fokussieren und Fotografie als neues Medium zu entdecken. 2021 machte sie ihren Abschluss als Meisterschülerin von Professorin Franka Hörnschemeyer.