01. Die Ausstellung
Mit der Einzelausstellung »Nachtland« präsentiert die Neue Galerie Gladbeck die Arbeiten der letzten fünfzehn Jahre der in Neuss lebenden und arbeitenden Künstlerin Simone Lucas.
In ihren Bildern, von denen einige in Gladbeck zum ersten Mal öffentlich ausgestellt werden, zitiert Simone Lucas verschiedene Bezeichnungs- und Darstellungs-konventionen und führt sie mit den Mitteln der Malerei zusammen: Linien, Farben, Ziffern, Buchstaben, Zahlen, Wörter, Schemata, Karten, Umrisse, dreidimensionale Ansichten. In dem daraus entstehenden Neben- und Miteinander werden deren jeweiligen spezifischen Möglichkeiten, etwas verständlich bzw. anschaulich zu machen, gleichzeitig eklatant deutlich und hinsichtlich ihrer unterschiedlichen sinnlichen Qualitäten relativiert.
Alles, was mittels dieser Konventionen formuliert und sichtbar gemacht werden kann, wird den Bildern malerisch einverleibt und den Vorstellungen der Künstlerin entsprechend miteinander kombiniert. Fragen nach dem ihrer Malerei zugrundeliegenden (oder fehlenden) Realitätsbezug und ob dieser einmal stärker, ein anderes Mal schwächer ausfällt, gehen dabei unter dem gleichzeitigen Andrang der (un-)lesbaren Kürzeln, Textbotschaften, Muster, Bildzeichen, Formen, Farbflecken und Abbilder verloren. Alles steht gleichermaßen vor Augen, alles will wahrgenommen werden. Auf diese Weise werden die Betrachter*innen dazu verleitet, nicht länger wissen zu wollen, ob die Größe der Figuren die Schüler*innen als Kinder von Menschen oder Riesen kennzeichnet, ob der Wal als weiße Kreidezeichnung auf einer flachen Schultafel oder als voluminöse Form in einem grünen Farbraum zu sehen ist, oder der Planet für ein Modell aus der Lehrmittelsammlung oder für das Signal einer beginnenden Auflösung von Raum-grenzen gehalten werden soll. Die Bildlogik der Gemälde von Simone Lucas stützt sich nicht auf Plausibilität, sondern auf Präsenz.
Die Künstlerin verweigert für das „Was“ und „Wie“ ihrer Bilder einen fixen Messpunkt und eine allein gültige, definierte Vergleichsgröße; ihr einziger Maßstab ist die Größe der Leinwand, deren Fläche mit malerischen Mittel „vermessen“ wird. Die verschiedenen Räume, Figuren und weiteren Motive und Elemente, die dergestalt auf den Bildern zusammenkommen, fügen sich ganz selbstverständlich in das Format der Leinwand und den Bildraum des Gemäldes ein, ohne eine stilistische Einordnung, Einheit der Handlung oder Form-Inhalt-Analyse anzubieten oder einzufordern. Dadurch lassen sie Szenen einer gewissen Latenz entstehen, in denen die Schüler*innen in der Klasse oder auf der Bühne – und mit ihnen die Betrachter*innen vor dem Bild – innehalten, zwischen einem Moment des (noch) Sehens oder Wahrnehmens und einem Moment des (schon) Verstehen- oder Wissen-Wollens.
Dieser Text stützt sich auf einen für diese Ausstellung verfassten Essay des Kunsthistorikers Hans-Jürgen Lechtreck.